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Frühes Trauma

Es entsteht in den ersten ein bis drei Lebensjahren und gehört in die Kategorie „Entwicklungstrauma“.

Das Nervensystem ist erst ungefähr mit dem dritten Lebensjahr voll entwickelt. Bis dahin können Babys und Kleinkinder ihr Nervensystem noch nicht allein regulieren, sie brauchen die Eltern oder andere Bezugspersonen, um es zu lernen.
Wenn das Nervensystem die Fähigkeit, zu regulieren, nicht angemessen entwickeln kann, entsteht eine chronisch hohe Aktivierung. Dadurch wird das Nervensystem überlastet.

Wodurch kann ein frühes Trauma entstehen?

  • Durch Eltern, die ihre eigenes Nervensystem nicht regulieren können, da sie selbst traumatisiert sind. Dysregulierte Eltern können ihren Kindern das Regulieren nicht vermitteln.
  • Durch anhaltende Erlebnisse von Vernachlässigung, durch Misshandlung sowie sexuellen oder emotionalen Missbrauch.
  • Durch chronische familiäre Belastungsfaktoren.
  • Durch ein Schocktrauma, d. h. ein einmaliges überwältigendes Ereignis, welches das Reaktionsvermögen des kleinen Kindes überfordert.
  • Durch Gewalterfahrungen, medizinische Eingriffe, Unfälle.
  • Durch ein Geburtstrauma.
  • Durch ein vorgeburtliches Trauma.
  • Durch den Tod eines Elternteils oder einer Bezugsperson in den ersten drei Lebensjahren.

Prägung unserer Identität

Durch ein frühes Trauma wird die gesamte Identität einer Person maßgeblich geprägt. In der Regel betrachten sich die Betroffenen selbst als Ursache des Schmerzes und des Leids, statt zu erkennen, dass diese Prägung auf Fehlern und Versäumnissen der Eltern oder anderer Bezugspersonen beruht oder einfach nur auf deren Unvermögen, die kindlichen Bedürfnisse zu erfüllen.
In sich selbst die Ursache von Leid, Schmerz und Verzweiflung zu sehen erzeugt bei den Betroffenen Selbsthass und eine Scham, überhaupt zu existieren. Der Zweifel am Existenzrecht wird zur Grundschwingung ihres Seins.

Häufige Auswirkungen dessen sind:

  • sich bedürftig fühlen
  • sich ohnmächtig, sich abgelehnt fühlen
  • sich nicht dazugehörig, sich nicht willkommen zu fühlen
  • ein geringes Selbstwertgefühl
  • als Gegenreaktion auf die Scham stolz darauf zu sein, niemanden zu brauchen
  • bei scheinbar nichtigen Anlässen in Wut zu geraten, ohne diese steuern zu können
  • eine höhere Anfälligkeit für spätere Traumata.

In sich selbst die Ursache für Leid, Schmerz und Verzweiflung zu sehen lässt eine verzerrte Identität entstehen. Frühtraumatisierte kompensieren ihren tiefen Zweifel am Existenzrecht häufig mit Leistung: „Wenn ich genug leiste, habe ich ein Recht zu existieren.“

Grenzen

Zudem haben Frühtraumatisierte durch die nicht gelernte Regulierungsfähigkeit des Nervensystems oft kein Gefühl für ihre Grenzen.
Denn ein Trauma entsteht durch Grenzverletzungen, etwas war zu gewaltig, zu schnell, etwa durch einen Unfall. Jemand hat unsere Grenze nicht gewahrt und respektiert, z. B. durch emotionalen Missbrauch oder Vernachlässigung.

Wenn wir kein Gefühl für unsere Grenzen haben und dies mit einem inneren Leistungszwang kompensieren, kostet das sehr viel Energie, da wir permanent über unsere eigenen Grenzen hinweggehen. Als junger Mensch haben wir noch jede Menge Lebensenergie zur Verfügung, doch diese nimmt mit den Jahren ab. Ohne die Fähigkeit, das Nervensystem zu regulieren, also zu spüren, wann es Zeit ist, unsere Energiekurve wieder runterzufahren und zur Ruhe zu kommen, erhöht sich die Gefahr eines Burnouts oder eines Zusammenbruchs.

Hochsensibilität

Wenn sich die Wahrnehmung der eigenen Grenzen nicht angemessen entwickeln konnte, kann Hochsensibilität entstehen. Das kann sich anfühlen, wie ohne Haut zu leben. Alles wird hochsensibel wahrgenommen, wie ohne Filter oder Schutzhülle. Das Hören, Riechen oder Sehen ist oft extrem fein ausgebildet, was in unserer heutigen hektischen und lauten Welt als äußerst anstrengend erlebt werden kann.

Auch reagieren Hochsensible meist sehr empfindlich auf Umweltreize, z. B. auf Elektrosmog, Funkstrahlen, bestimmte Stoffe in Medikamenten oder Lebensmitteln bis hin zu Allergien. Der Kontakt zu anderen Menschen wird sehr intensiv wahrgenommen, denn zusätzlich zu den Sinneswahrnehmungen werden auch Energien und Gefühle der anderen hochsensibel aufgenommen. Insgesamt kann durch eine hochsensible Wahrnehmung ein Gefühl der Überforderung oder Bedrohung entstehen oder das erhöhte Bedürfnis, sich zurückzuziehen.

Hochsensibilität hat auch gute Seiten, denn Hochsensible haben meist ein gutes Gespür für das, was sich hinter den Dingen verbirgt. Wenn die Grenzen löchrig sind, steht sozusagen ein Tor offen für Kreativität, Kunst, Spiritualität oder energetische Wahrnehmung. Viele Künstler sind hochsensibel. Auch ein sehr feines Gespür für die Gefühle, Energien und Befindlichkeiten anderer Menschen gehört hierher, dies lässt sich in einigen Berufen wunderbar nutzen.

Trauma-Heilung

Um ein frühes Trauma zu heilen, verfolgen wir zwei Hauptstränge:

  1. Lernen, unser Nervensystem zu regulieren. Das, was Babys und Kleinkinder im gesunden Umfeld von ihren Eltern lernen, wenn diese sie trösten, beruhigen und liebevoll unterstützen, können wir als Erwachsene sozusagen nachlernen, denn unser Nervensystem ist lernfähig.
  2. Der zweite Strang umfasst den Komplex, unsere innerpsychischen Konflikte zu erkunden und zu lösen. Wir lernen, unsere Überlebensstrategien und verzerrten Identifizierungen zu erkennen. Auch die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Strängen wahrnehmen und verstehen zu können ist ein wichtiger Schritt zur Heilung.

Trauma hat eine Sogwirkung, die Frühtraumatisierte im Bann ihrer Überlebensstrategien, Glaubenssätze und verzerrten Identitäten hält. Das Lernen, unser Nervensystem zu regulieren, ist entscheidend, um dieser Sogwirkung entgegenzuwirken und den Bann Stück für Stück zu lösen.

Inneres Gewahrsein

Das Erlernen der Selbstregulation und das Erkunden unserer inner-psychischen Konflikte brauchen ein inneres Gewahrsein. Hierfür trainieren wir, bewusst wahrzunehmen, was in uns geschieht. Wir nehmen achtsam unsere körperlichen, gedanklichen und emotionalen Regungen wahr, ohne zu interpretieren, zu werten und in Regression zu fallen.

Innere Aufmerksamkeit lenken lernen

Um das Nervensystem regulieren zu lernen, bedarf es neben dem inneren Gewahrsein auch die Erkenntnis und die Entscheidung, die Aufmerksamkeit lenken zu lernen. Denn Frühtraumatisierte sind fixiert auf den Traumastrudel mit all seinen Auswirkungen wie etwa Überlebensstrategien und verzerrten Identitäten. Das äußert sich in bestimmten Lebenssituationen mit immer der gleichen Enge, mit immer den gleichen unangenehmen bis verzweifelten Gedanken, Gefühlen, Empfindungen und Verhaltensweisen oder mit tiefer Dissoziation.

Die Aufmerksamkeit auf etwas Angenehmes und Weites lenken zu lernen fühlt sich für die Betroffenen anfangs oft an, als ob sie in sich alles komplett umstülpen müssten. Denn ihr gesamtes System ist seit Anbeginn ihres Lebens im Bann dieser Enge und dieses Unangenehmen.

Die Aufmerksamkeit lenken zu lernen hin zu freundlichen Gefühlen, Gedanken und Empfindungen heißt wählen zu lernen. Wenn wir frei wählen können, wohin wir unsere Aufmerksamkeit lenken, entsteht innere Freiheit. Somit ist das Lernen, unsere Aufmerksamkeit zu lenken, ein entscheidender Schritt in dem Prozess, unser Nervensystem regulieren zu lernen. Die chronisch hohe und intensive Aktivierung des Nervensystems kann durch dieses Regulieren abnehmen und dadurch seine natürliche und gesunde Pendelbewegung zwischen Energieaufbau und Energieabbau aufnehmen.

Ausrichtung

Die Ausrichtung in der Trauma-Heilarbeit mit früh traumatisierten Menschen ist, das Recht auf Leben zu erfahren! Das Recht auf Lebendigkeit und Lebensfreude! Ebenso wie einen achtsamen und liebevollen Kontakt zum eigenen Körper, zu den eigenen Gefühlen und zum inneren Sein zu entwickeln.

Selbstwahrnehmung ist hier ein Schlüssel. Denn durch Selbstwahrnehmung fühlt sich unser Selbst wahrgenommen. Wir erkennen unsere innere Wahrheit, erkennen uns so, wie wir gehören, so, wie wir gemeint sind. Tief in uns gibt es ein Wissen um unser wahres Selbst.

Durch Selbstwahrnehmung kommen wir in Kontakt mit unserem Körper, mit unseren Gefühlen und unserem inneren Sein. Sind wir im Kontakt mit uns, können wir auch einen natürlichen Kontakt mit anderen erfahren. Das Vermögen im Kontakt mit uns selbst und anderen zu sein schafft Verbundenheit zum Leben. Hier beginnt Lebendigkeit, hier können wir anfangen, Freiheit, Liebe und Frieden in uns zu entdecken.

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